Videospiel statt Fragerunde: Das Vorstellungsgespräch neu gedacht

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Olle Forneus

Ich bin Leiter für soziale Medien bei Teamtailor und ein heiterer und gelassener Schwede, der Menschen im Allgemeinen, digitale Kommunikation und im Besonderen die Arbeitgebermarke mag.

Wir wissen es und jeder spricht bereits darüber: Der Kampf um Talente hat begonnen!

Immer mehr offene Stellen stehen immer weniger passenden Profilen gegenüber. Und die wenigen Kandidaten, die noch zur Verfügung stehen, suchen nach einer Arbeit, die für sie eine Bedeutung hat. Das hat zur Folge, dass Arbeitgeber neue Talente mehr als jemals zuvor auf kreative Weise umwerben müssen, um sie für ihr Unternehmen zu gewinnen.

🤔 Und wie hebt man sich nun von der Masse ab und bringt Talente dazu, bei der eigenen Firma zu unterschreiben?

🤔 Vielleicht mit einem Videospiel?

Gamer machen einen bedeutenden Anteil der Arbeitnehmerschaft aus. 58 % aller Franzosen beispielsweise spielen regelmäßig Videospiele und 48 % davon sind weiblich!

Die Marketingagentur Dare.Win sorgte im Sommer 2018 mit ihrer Rekruitment-Kampagne unter dem Motto „Join the party - The Fortnite Interview" für einen riesigen Hype.

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Und das war die Ausgangssituation:

  • Die Agentur war auf der Suche nach zwei neuen kreativen Mitarbeitern
  • Sowohl ihr Budget als auch ihre Zeit, passende Bewerber zu finden, waren mehr als begrenzt

So weit nichts Besonderes ... unter solchen Rahmenbedingungen rekrutieren wir ja heutzutage fast alle.

Also: Was tun, um unter diesen widrigen Umständen die größtmögliche Anzahl Bewerber anzulocken?

Die Lösung: Die Vorstellungsgespräche finden statt, während man gemeinsam Fortnite spielt, ein Videospiel, das zu jener Zeit weltweit gezockt wurde, bis die Controller heiß liefen. 

Zusätzlich dazu stellte die Agentur eine E-Mail-Adresse zur Verfügung, über die sich die Nicht-Gamer bewerben konnten, denn man wollte ja niemanden ausschließen.

Was war das Geniale an dieser Idee?

  • Viele Aspekte. Beispielsweise bekam die Arbeitgebermarke einen enormen Boost

Mit dieser Kampagne hob sich die Agentur aus der Masse der Arbeitgeber heraus. 600 Bewerbungen gingen alleine über Fortnite ein, und weitere 250 per E-Mail - innerhalb von nur 10 Tagen. Mit dieser Kampagne gewann die Agentur mit einem Schlag an Attraktivität bei ihrer Zielgruppe, und das in einem hart umkämpften Markt.

  • Verbesserung der Bewerbererfahrung

Bei dieser Aktion profitiert übrigens nicht nur die Agentur, auch die Kandidaten gewinnen: Ihre Bewerbererfahrung ist wesentlich besser als bei „normalen" Einstellungsprozessen - und macht wesentlich mehr Spaß.

Die beiden glücklichen Bewerber, die schließlich das Rennen machten, gaben vor der Presse an, dass diese unkonventionelle Art des Vorstellungsgesprächs von Anfang an für ein Gemeinschaftsgefühl gesorgt habe. Normalerweise, so sagen sie, besteht ein Vorstellungsgespräch aus 2 oder 3 Personen, die, durch einen Tisch getrennt, dem Bewerber gegenübersitzen und Fragen zu sensiblen Themen stellen. Bei dem Videospiel-Vorstellungsgespräch erfährt man viel mehr über die Persönlichkeit der Beteiligten und die Gespräche und Diskussionen sind weitaus spontaner und ehrlicher als während eines „normalen Interviews". Einfach, weil es so gut wie keine Möglichkeit gibt, mit vorher einstudierten Antworten auf die Fragen der Personalbeschaffer zu reagieren.

Die ganze Aktion war ein voller Erfolg für Dare.Win: Ihre Recruitment-Kampagne ging viral und wurde weltweit 190 Millionen mal aufgerufen. Sie fanden dabei nicht nur ihre beiden Traumkandidaten, sondern sicherten sich darüber hinaus auch zahlreiche anderer Profile vielversprechender zukünftiger Bewerber für ihren Talentpool.

Bedeutet das, dass der Weg zu realen Mitarbeitern ab sofort durch die virtuelle Welt der Videospiele führen sollte?

Videospiele könnten in verschiedenen Phasen des Einstellungsprozesses verschiedene Funktionen haben:

  • Beispielsweise könnte man die Kompatibilität des Bewerbers mit dem Team überprüfen, mit dem er später in der Firma zusammenarbeiten würde: Die drei aussichtsreichsten Kandidaten für eine freie Stelle spielen mit ihren zukünftigen Kollegen und „leben" so die Firmenkultur, statt sich nur über sie zu unterhalten.

  • Man könnte eine echte Problemstellung der Firma in ein Spiel verpacken: Entwickler könnte man zum Beispiel auf eine Schatzsuche schicken, bei der es einen bestimmten Code zu finden gilt

  • Auch Fähigkeiten und Kenntnisse der Bewerber könnte man damit testen: In Einzel- oder Mehrspielerumgebungen stellen die Kandidaten ihre Ausdauer unter Beweis, ihre Belastbarkeit, ihr Zeitmanagement und auch ihr Verhalten in Stresssituationen. Kurz: alles, was auf beruflicher Ebene Bedeutung hat.

Vor diesem Hintergrund wurden bereits Firmen gegründet, die anderen Firmen Videospiele für deren Einstellungsprozess zur Verfügung stellen. Das Konzept: Die Kandidaten werden beim Spielen beobachtet.

Die Auswahl des Spiels orientiert sich daran, welche freie Stelle mit welcher Art Profil besetzt werden soll.

Eine dieser Firmen ist Skilleo, die 2020 gegründet wurde und derzeit ihren Kunden zwei Arten von Videospielen anbietet, die ihre Bewerber in einer Gaming-Umgebung beurteilen möchten:

  • Ein Spiel für Teams, bei dem die Kandidaten entweder gegeneinander oder gegen das Betriebsteam spielen. Das entscheidet der Kunde

  • Ein Einzelspieler-Spiel, bei dem der Kandidat seine persönlichen Fähigkeiten wie zum Beispiel sorgfältiges Arbeiten, Stressmanagement und Durchhaltevermögen unter Beweis stellen kann.

Bei beiden Spieltypen ist es unerheblich, ob man gewinnt oder verliert: Wichtig ist einzig und allein, wie man sich während des Spiels verhält. Vielleicht zeigt sich im Kampf um den Sieg im Spiel rücksichtsloses oder selbstsüchtiges Verhalten oder ein übersteigertes Selbstbewusstsein. Beides Eigenschaften, die bei den Personalverantwortlichen nicht unbedingt gut ankommen.

Laut Guy Halfteck, CEO von Knack, erhält man durch Videospiele eine Vielfalt von Daten und Informationen. „Das System ist ungemein komplex und jede Millisekunde im Spiel lässt hunderte von Datenvariablen sichtbar werden", so Guy. „Das, was man tut, das, was man nicht tut, wie schnell man etwas tut, wie sich die Herangehensweise im Laufe des Spiels verändert: All das hilft dabei, die Fähigkeiten und Charaktereigenschaften eines Kandidaten zu erkennen."

Personalbeschaffung mithilfe von Videospielen hat also eine Fülle von Vorteilen. Das Beispiel von Dare.Win hat gezeigt, dass der Einsatz eines Videospiels dazu beitragen kann, die Attraktivität einer Firma zu erhöhen: Einfach, weil den Bewerbern eine unterhaltsame Art des Vorstellungsgesprächs geboten wurde, bei der es ohne Ängste zuging und bei der spontanes Verhalten gefördert wurde. Doch nicht nur die Kandidaten profitierten: Auch die Personalverantwortlichen hatten so die Möglichkeit, die Kandidaten besser und unvoreingenommener einzuschätzen und sich gleichzeitig ein Bild davon zu machen, wie sich die Bewerber „in action" verhielten.

Im heutigen hart umkämpften Markt könnten Videospiele tatsächlich der Schlüssel zu mehr Arbeitgeber-Attraktivität sein.

Doch wie alle anderen Lösungen haben auch Videospiele eine Reihe von Nachteilen: Zeitaufwand und Ablehnungshaltung.

Dabei geht es nicht um die Zeit, während der tatsächlich gespielt wird, denn das Spiel dauert in etwa ebenso lange wie ein normales Vorstellungsgespräch. Es geht vielmehr um die Zeit, die man braucht, um die erhaltenen Daten und Informationen zu analysieren. Es gibt bisher noch keine automatisierte Analysemöglichkeit. Jedoch bereits heute stehen die entsprechenden Computertechnologien für visuelle und Spracherkennung zur Verfügung, sodass es nur eine Frage der Zeit ist, bis auch dieser Teil automatisch ablaufen kann. 

Die Ablehnungshaltung wird bei denjenigen Kandidaten zum Thema, die keine Gamer sind. Sie fürchten, dass sie schlicht aufgrund fehlender Videospielerfahrung keine Chance auf die ausgeschriebene Stelle haben. In der Praxis jedoch hat weder Gewinnen, noch Verlieren oder die Leistung im Spiel eine Auswirkung darauf, ob ein Kandidat für eine Stelle ausgewählt wird oder nicht. Abgesehen davon sind die Spiele, die verwendet werden, auch für Nicht-Gamer leicht zugänglich und jeder Kandidat erhält vor dem Interview ausreichend Zeit, sich mit dem Spiel vertraut zu machen.

Und das bedeutet: Gerade bei den Generationen Z und Alpha könnte die Methode „Videospiel statt Fragerunde" einen Durchbruch bedeuten, wenn es darum geht, sie für die eigene Firma als neue Mitarbeiter zu gewinnen.